Der von Peter Elbow geprägte Begriff ‚Free Writing‘ – oder Deutsch ‚Freies Schreiben‘ – war eines der ersten Dinge, die ich in einem Workshop beim Zentrum für Soziale Kompetenz in Graz gelernt habe.
Im Workshop haben wir damals die Idee der Morgenseiten nach Julia Cameron als Aufgabe bekommen: Sie schlägt zur Kreativitätsfindung und -ankurblung vor, 15-30 Minuten gleich nach bzw. sogar vor dem eigentlichen Aufstehen einfach frei zu schreiben, ohne sich selbst zu zensieren, zurückgehen und korrigieren ist während dem Freien Schreiben nicht erlaubt! Wenn die Schreiberin nicht mehr weiß, was geschrieben werden soll, kann z.B. „Ich weiß nicht. Ich weiß nicht …“ geschrieben werden – bis dann der nächste Gedanke kommt. Oder auch die innere Zensorin darf zur Sprache kommen (z.B. „Was soll der Blödsinn?“). Die Morgenseiten sind eine wunderbare Übungsmöglichkeit für dieses Werkzeug: Ein Werkzeug kann ja auch nur richtig und effektiv angewandt werden, wenn wir in dessen Benutzung auch Übung haben.
Dazu habe ich mir damals extra ein schönes Notizbuch gekauft, und jeden Morgen drei Seiten geschrieben – und bin dann dadurch auch zum ‚Free Writing‘ nach Peter Elbow gekommen. Dieses ‚Einfach Drauflosschreiben‘ kann nämlich auch wunderbar für kreative und akademische Texte genutzt werden. Ich war damals so begeistert von dieser Herangehensweise und bin es heute noch. Julia Cameron und Peter Elbow haben mir gezeigt, dass es so etwas wie einen ‚perfekten ersten Text‘ nicht gibt. Er muss auch nicht perfekt sein! Wir sind es von Schularbeiten oft gewöhnt, dass es sofort perfekt sein muss, und außerdem sehen wir oft wir nur das fertige Produkt, den perfekten Roman, die perfekte VWA, die perfekte Masterarbeit … Aber die Anstrengungen und Korrekturen – die ganzen Zwischenschritte die vonnöten waren – sehen wir nicht. Und deshalb ist es so wichtig, das Freie Schreiben in die eigene Werkzeugskiste zu packen.
Was nach dem Freien Schreiben – also einfach Drauflosschreiben – für akademische Texte herauskommt, sind – wie Alison B. Miller sie nennt – ‚Baby Drafts‘, sozusagen Texte in Babyschuhen. Und so sollten wir sie dann auch behandeln: als noch recht rohe Eier, und mit sehr heruntergespanntem Perfektionsanspruch.
Hol dir ein leeres Blatt Papier, und probier doch die Morgenseiten für deine Gedanken in aller Früh und/oder das Free Writing für deine akademischen Texte aus, du wirst (hoffentlich) überrascht sein!
Für die Morgenseiten habe ich mir damals selbst ein einfaches ‚Challenge Handout‘ erstellt, die Meilsteine sind ausgezeichnet, in den anderen Boxen habe ich damals jeden Tag eine kleine Zeichnung für jeden ‚Morgenseiten-Tag‘ gezeichnet. Wenn du magst, kannst du dir dieses Blatt ausdrucken und an einen Ort hängen, der dich an die Morgenseiten erinnert.